Felix Blumenstein - Biografie

Dr. Felix Blumenfeld -  Kinderarzt, Philanthrop, Demokrat, Freimaurer

Biografie von Dr. Jörg Westerburg 

Klappentext 
Der jüdische Kinderarzt Dr. Felix Blumenfeld (1873–1942) gründete bis 1909 eine vorbildhaft ausgestattete Milchküche und ein Krankenhaus für Säuglinge und Kleinkinder in Kassel. Über Jahrzehnte war er als Sozialhygieniker in der medizinischen Bildungsarbeit und der Ausbildung von Pflegekräften aktiv. Im November 1918 stellte er sich dem Aufbau der republikanisch orientierten Deutschen Demokratischen Partei zur Verfügung. Sein Verständnis von Toleranz und Menschlichkeit führte ihn in eine Kasseler Freimaurerloge, in der sich, entgegen gesellschaftlichen Tendenzen, bis 1933 auch zahlreiche jüdische Mitglieder versammelten. 

Die von der Kasseler Freimaurerloge „Goethe zur Bruderliebe“ herausgegebene Biographie rekonstruiert den Lebensweg vom angesehenen, gesellschaftlich-politisch engagierten Arzt zu einem nach 1933 ausgegrenzten, ausgeraubten und 1942 in den Selbstmord getriebenen Menschen.

Jörg Westerburg

geboren 1965, Dr., Studium der Klassischen Archäologie und der Geschichte in Göttingen und Heidelberg, lebt als freiberuflicher Historiker in Kassel und hat stadt- und landesgeschichtliche Beiträge zu Kassel und der Region in der Frühen Neuzeit bis zum 20. Jahrhundert veröffentlicht.

Ausführlich

Jörg Westerburg zur Biografie und zum Vortrag:
Dr. Felix Blumenfeld - Kinderarzt, Philanthrop, Demokrat, Freimaurer


Der seit 1901 in Kassel praktizierende Kinderarzt ist bis heute als Gründer der in der Altstadt ansässigen Milchküche und als medizinischer Leiter des späteren Kinderkrankenhauses Park Schönfeld bekannt. An den jüdischen Mediziner, der 1942 als Opfer des NS-Rassenhasses und antisemitischer Verfolgung in den Selbstmord getrieben wurde, erinnern zwei Stolpersteine.

Wie aus dem Untertitel zu ersehen ist, geht es um die vielfältigen Tätigkeiten des Arztes und Sozialhygienikers Felix Blumenfeld (1873-1942), der neben seiner fachärztlichen Praxis über fast 30 Jahre zahlreiche Aufgaben im Gesundheitswesen und in der Kommunalpolitik Kassels wahrnahm sowie im Vereins-Leben der Stadt engagiert war.

Kriegs- und vor allem verfolgungsbedingt sind eigenhändige Lebenszeugnisse von Felix Blumenfeld leider nur spärlich überliefert. Es fehlen daher Dokumente, die über sein Denken und seine Überzeugungen direkt Auskunft geben könnten. Dennoch ist in Archiven und Bibliotheken in Darmstadt, Wiesbaden, Marburg und Frankfurt zahlreiches Quellenmaterial greifbar. Deren Auswertung ermöglicht wichtige neue Erkenntnisse und Ergänzungen zu unserem Wissen und für unser Verständnis von Felix Blumenfeld.

Der Vortrag möchte auf Grundlage dieser neuen Erkenntnisse die sozialpolitische Arbeit Blumenfelds, seine aktive Beteiligung an gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in Kassel vor allem nach 1918 und bis 1933 in den Vordergrund stellen. Seine Biografie ist daher in den Verlauf der Kasseler Stadtgeschichte eingebettet.

Im zweiten Teil des Vortrages werden Entrechtung und Verfolgung Blumenfelds und seiner Familie nach 1933 geschildert. Hier wiederholt das Beispiel Felix Blumenfelds den vielfach festzustellenden Ausschluss Tausender deutscher Jüdinnen und Juden aus ihrer beruflichen und ehrenamtlichen Tätigkeit, deren materielle Ausplünderung und ihren Weg in die Emigration oder in ihre physische Vernichtung. 

Kurze biographische Skizze:


Die Familie Blumenfeld stammte aus dem kurhessischen Landjudentum aus Momberg bei Neustadt in der Schwalm. Felix Blumenfeld und seine Schwester Thekla wuchsen ab 1884 in der Familie der früh verstorbenen Mutter in Marburg auf, wo die kaufmännisch erfolgreichen Erlangers zu den führenden Familien der jüdischen Gemeinde zählte. Spätestens dort musste der junge Felix Blumenfeld mit der Böckelbewegung erste Erfahrungen mit dem modernen Antisemitismus machen.

Nach seinem Studium der Medizin in Marburg und München und seiner Promotion wechselte Blumenfeld 1901 nach Kassel und eröffnete hier eine Kinderarztpraxis. Mit seiner Heirat in die wohlhabende Frankfurter Unternehmerfamilie Wertheim gründete er seine Familie, aus der zwei Söhne – Gerd und Eduard – entstammten. Nachdem seine erste Frau 1917 verstorben war, heiratete Felix Blumenfeld 1920 seine zweite Ehefrau Helene.

Blumenfeld engagierte sich in Kassel in der Bekämpfung von Säuglings- und Kleinkinderkrankungen. Er wirkte über ein Vierteljahrhundert in der Krankheitsvorbeugung bei Kleinstkindern und propagierte moderne Pflege- und Ernährungsmethoden im Kampf gegen die hohe Säuglingssterblichkeit und für ein gesundes Aufwachsen von Kleinkindern. Früh schon engagierte er sich deshalb in der Arbeit von Wohlfahrtseinrichtungen, mit denen er 1904 die Milchküche gründete und 1909 vom Deutschen Evangelischen Frauenbund in die ärztliche Leitung des Kinderheims an der Frankfurter Straße, seit 1933 Kinderkrankenhaus Park Schönfeld, berufen wurde. In zahllosen öffentlichen Vorträgen, am Fröbel-Seminar und in Kursen an der Kasseler Volkshochschule verbreitete Blumenfeld seine fachärztlichen Kenntnisse und erreichte 1917 die staatliche Anerkennung der im Kinderheim an der Frankfurter Straße angebotenen Fachausbildung von Pflegekräften.

Blumenfeld bekannte sich 1918 mit seinem Beitritt zur linksliberalen DDP zur Weimarer Republik und zur neuen parlamentarisch-demokratischen Ordnung in Deutschland. Für vier Jahre vertrat er seine Partei in der Kasseler Stadtverordnetenversammlung und blieb auch danach seinen politisch-liberalen Prinzipien treu.

Obwohl er anscheinend keine starke Bindung an seinen jüdischen Glauben hatte, bekämpfte er seit den frühen 1920er Jahren zusammen mit Jüdischen Organisationen in Kassel den sich radikalisierenden Antisemitismus – dies in einer Weise und in einem Ausmaß, dass er durchaus zu den Wortführern im Kampf gegen Nationalsozialismus und antisemitische Judenfeindlichkeit in Kassel gelten darf.

Blumenfeld konnte sich bis 1933 gut in die stadtbürgerliche Gesellschaft Kassels integriert fühlen, da er mehreren Vereinen in der Stadt schon vor 1914 beigetreten war. Hierzu zählen seine Mitgliedschaft im geselligen Verein der „Schlaraffia“, dem Kasseler Kunstverein und sein Kontakt zu lokalen Künstlern. Wichtig darf schließlich seine Zugehörigkeit zur Loge „Einigkeit und Treue“ gesehen werden. Im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Freimaurerlogen dieser Jahre, die sich immer stärker politisch-nationalistisch radikalisierten und sogar antisemitische Tendenzen übernahmen, enthielt sich Blumenfelds Loge diesen Entwicklungen und blieb ihren humanitären, politisch toleranten Grundsätzen treu.

1933 bedeutete auch für Felix Blumenfeld und seine Familie den dramatischen Einschnitt in ihrer Existenz: Verdrängung aus Beruf, Ausschaltung aus nebenberuflichen und ehrenamtlichen Aufgaben, Ausgrenzung aus Vereinen und gesellschaftlichen Bindungen. Es folgte die zunehmende soziale Isolation des Ehepaares Blumenfeld und die Zerstreuung seiner Familie, von denen viele – u.a. seine Söhne – bis 1939 emigrierten.

Felix Blumenfelds Lebensweg nach 1933 zeigt die schrittweise Ausplünderung der Juden in Deutschland durch die gezielte, rücksichtslose Anwendung von Steuer- und Sonderbesteuerungsgesetzen. Behördlicher Druck und polizeiliche und gerichtliche Verfahren gegen den ehemaligen Kinderarzt, Durchsuchungen und Beschlagnahmungen entzogen ihm sein Vermögen, 1936 folgte die Arisierung des Frankfurter Familien-Unternehmens.

Das weitere Leben von Felix und seiner Ehefrau Helene war gekennzeichnet vom Rassenhass des Nationalsozialismus. Erbarmungslos beutete die Stadt selbst noch die Arbeitskraft des fast 70 Jahren alten Mannes bei der Straßenreinigung und auf Kassels Müllhalde aus. Sein Selbstmord am 25.1.1942 folgte aus Hoffnungslosigkeit und Resignation, dramatisch wiedergegeben in seinen beiden Abschiedsbriefen an die emigrierten Söhne in den USA bzw. an seine Ehefrau Helene, die trotz behördlichen Drucks bis zuletzt an seiner Seite blieb.

Lange taten sich Stadt, Trägerverein des Kinderkrankenhauses und Öffentlichkeit schwer mit einer ehrenvollen Erinnerung an Felix Blumenfeld. Erst seit den 1980er Jahren ist Blumenfelds Bedeutung für die lokale Gesundheitsfürsorge erkannt und seine Leistungen für die Entwicklung des späteren Kinderkrankenhauses Park Schönfeld beschrieben worden.

Der Vortrag möchte Blumenfelds Lebensweg und dessen über Jahrzehnte währende Leistungen für die gesundheitliche Fürsorge seiner Mitmenschen rekonstruieren. Blumenfelds vorbildliches humanitäres Handeln, sein aufgeklärt-liberales Gesellschaftsbild und seine demokratische Gesinnung sollen erkennbar werden.

Jörg Westerburg, Januar 2025

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