Kasseler Beiträge zur Geschichte und Landeskunde (KBG)
Band 1:
Friedrich Frhr. Waitz von Eschen:
Parkwege als Wissenswege. Der Bergpark Wilhelmshöhe als
naturwissenschaftliches Forschungsfeld der Aufklärung.
192 Seiten; 53 überwiegend farbige Abbildungen, Karten und Pläne; Register; Erschienen 2012
Preis: 16,80 € (ISBN: 978-3-925333-61-3)
ZHG 2012/13 S. 50 – 52
Dass im Juni 2013 der Bergpark Wilhelmshöhe in Kassel zum Weltkulturerbe der UNESCO erhoben wurde, hat in ganz Hessen Freude und Begeisterung hervorgerufen, selbst bei denen, die noch nie dort gewesen sind und seine Geschichte nicht kennen. Wie facettenreich, interessant und anregend diese Geschichte ist, und vor allem, was hinter ihr steht und welche Anstöße sie gegeben hat, das kann man dem vorliegenden Band entnehmen. Er eröffnet nämlich eine Perspektive auf den Bergpark und sein wissenschaftlich-technisch-künstlerisches Umfeld mit dem Collegium Carolinum, dem Museum Fridericianum und dem Kasseler Ottoneum, die jenseits des vordergründig Touristischen die naturwissenschaftlichen, technischen und ökonomischen Voraussetzungen freilegt und in einen kontinuierlichen wissenschaftshistorischen Diskurs einbettet. Dass es dem Autor, einem promovierten Juristen und Wirtschaftsmanager, gelingt, diesen Diskurs auf wissenschaftshistorisch höchstem Niveau zu führen, beweist die langjährige intensive Beschäftigung mit diesen Themen und erzeugt großen Respekt und Anerkennung.
In acht Kapiteln werden in chronologischer Folge seit den Regierungszeiten des Landgrafen Wilhelm IV. und seines berühmteren Sohnes Moritz des Gelehrten die Entwicklung des Bergpark-Ensembles mit Besprechungen 51 den wissenschaftlichen Leitinteressen der jeweiligen Regenten verknüpft und die Strategien offengelegt, mit denen diese Fragestellungen angegangen wurden und welche Folgen sie für die Umgestaltung des Bergparks hatten. Ausgehend vom chemischen / alchemistischen Laboratorium des Landgrafen Moritz, über die erstaunlichen montantechnischen und physikalisch-hydraulischen Innovationen, die Landgraf Karl an dem nach ihm benannten Berg veranlasste, kommen die für das frühe Aufklärungszeitalter so typischen Fragen nach der Deutung fossiler Funde zur Sprache. Die Mineralien und »Conchylien«-Funde im sog. Muschelstollen, ihre Untersuchung im Kunsthaus, u. a. durch den hochbedeutenden Mediziner Johann Doläus (dessen Korrespondenz dringend wissenschaftshistorisch bearbeitet werden müsste) und die Publikation und Deutung der Funde durch den Anatomie-Professor am Collegium Carolinum, Peter Wolfart, in seiner »Historia naturalis Hassiae inferioris« (1719) sind Ausdruck der fürstlichen »Curiositas«, die den Beginn »aufgeklärter Bildungsbestrebungen durch Forschung und öffentliche Lehrtätigkeit auf den Gebieten der experimentellen Naturwissenschaft, der Mathematik, der Anatomie, der Geographie« (H. Philippi) manifestieren und zum Ausgangspunkt für die folgenden Entwicklungen im Aufklärungszeitalter werden.
Die ausgewählte, charakteristische Bebilderung liefert dabei anschauliche Beispiele für die damals üblichen Forschungsmethoden und ihre Resultate. Die drei folgenden Kapitel (IV. Fürstliche Repräsentation der Naturwissenschaften und der Montan-Ressourcen im Barockpark, V. Landgraf Friedrich II. und die Astronomie und Alchemie am Weissenstein, VI. Wissenschaftliche Botanik unter den Landgrafen Friedrich II. und Wilhelm IX.) befassen sich mit einerseits der kameralistischen Nutzung der Ressourcen im Bereich des Habichtswaldes und andererseits der Integration der Landschaft in ein repräsentativ-artifizielles Gesamtkunstwerk mit dessen allegorischer Überhöhung fürstlicher Potestas und transsäkularem Bedeutungsanspruch. Dabei gibt es Hinweise, dass »der Bergpark zunächst doch stärker als technisch-wissenschaftlicher Repräsentationsraum gedacht« war, als bisher angenommen (S. 74). Ein interessantes neues Kapitel entwickelte sich unter Landgraf Karls Söhnen, die durch die Übernahme von Elementen des traditionellen Lustgartenprinzips in französischer Ausprägung (U. Stobbe) neue botanische Impulse setzten, deren Resultat einerseits die Rosenzüchtung »Perle de Weissenstein«, andererseits die wissenschaftlich-botanische Arbeit des gelernten Apothekers und späteren Marburger Botanik-Professors Conrad Moench war. Ein weiteres interessantes Produkt war die berühmte, originelle »Xylothek« des Ökonomie-Verwalters Karl Schildbach, eine Zusammenstellung der wichtigsten Baumarten mit ihren wesentlichen Elementen in Buchform, die noch heute im Naturkunde-Museum die Bewunderung der Besucher hervorruft. Einer zentralen Frage der wissenschaftlichen Geographie des Aufklärungszeitalters, der Vulkanismus-Neptunismus-Kontroverse, ist das umfangreiche VIII. Kapitel gewidmet, in dem der erste bedeutende Vulkanist, Rudolf Erich Raspe, ausführlich zu Worte kommt und die Rezeption bzw. Ablehnung seiner Theorien durch zahlreiche weitere Besucher des Bergparks erörtert wird. Die hier nur äußerst verknappte Darstellung ist im Original durch viele interessante Details, etwa die Beziehungen des Bergparks zu den berühmten Vorbildern des Jardin du Roi in Paris, die Kew Gardens in London und zu anderen zeitgenössischen deutschen Gärten und Parks (Harbke, Schwöbber, Wörlitz), die beteiligten Wissenschaftler und die kameralistische Transformation des wissenschaftlichen Interesses erweitert und plastisch dargestellt. 52 Besprechungen Die technik- und wissenschaftsgeschichtliche Einordnung des Bergparks im 18.Jahrhundert ist Gegenstand der sechs Abschnitte des VIII. Kapitels, die sich gartenhistorisch mit dem wissenschaftlichen Garten in der Aufklärung, dem Bergpark als naturwissenschaftlichem Forschungsfeld und seiner wirtschaftlichen Dimension, den Beziehungen zum Collegium Carolinum und anderen Bildungs- und Forschungseinrichtungen als Teil des frühneuzeitlichen Naturforschungssystems und der architekturhistorischen Perspektive zu diesem Naturforschungssystem befassen. Bestechend darin die breit angelegte Auswertung der vielfältigen Literatur dieser sehr weit auseinander liegenden Wissenschaftsfelder und die wissenschaftshistorisch überzeugende Schlussfolgerung. Sie besagt: »Vielleicht sollte man diese Verbindung innovativer Wissenschaften und Techniken mit der fürstlichen Repräsentation und dem unmittelbaren Bezug der Fürsten zur Wissenschaft in ihrem Park als Spezifikum einer »Kasseler Aufklärung« ansehen.« Der Bergpark sei, so der Verfasser, »ein aussagekräftiger und prominenter wissenschaftsgeschichtlicher Ort, an dem wir noch heute das Epochenbewusstsein der Aufklärung erleben können.« Ein umfängliches Quellen- und Literaturverzeichnis, Abbildungsnachweise, Abkürzungsverzeichnis, Register und Angaben zum Autor schließen den sehr gut ausgestatteten, höchst eindrucksvollen Band ab, der eine markante Ouverture der neuen Kasseler Publikationsreihe darstellt.
Marburg Gerhard Aumüller
Rezension 2
Neue wissenschaftsgeschichtliche Forschungen weisen den Bergpark Wilhelmshöhe als bedeutenden Schauplatz astronomischer, alchemistischer, botanischer, mineralogischer und geologischer Wissenssuche des 18. Jahrhunderts aus. Für die Hydraulik der Wasserspiele setzte Landgraf Karl unter anderem auch modernste Bergbau-Technik ein. Die wissenschafts- und technikgeschichtlichen Befunde erlauben zugleich neue Einblicke in die Gartengeschichte des Bergparks im 18. Jahrhundert.
Die Forschungen im Bergpark waren eng mit dem Collegium Carolinum, der Kasseler Hochschule des 18. Jahrhunderts im Ottoneum, und dem Museum Fridericianum verbunden und lösten wichtige wissenschaftliche Kontroversen – z. B. den Vulkanismus-Neptunismus-Streit - aus. Sie weckten das Interesse der europäischen Gelehrtenrepublik und zogen bedeutende Naturforscher der Aufklärung nach Kassel, wie Ferber, Voigt, Werner, van Marum, Lamarck, Deluc, Faujas de Saint-Fond, Hamilton und andere.
„Dieses Vorhaben gelingt dem Autor in einem angenehm geschriebenen Stil recht schnörkellos, ohne dabei das wissenschaftliche Arbeiten außen vor zulassen. Nah an den historischen Quellen arbeitet Waitz von Eschen heraus, wie die wissenschaftliche Durchdringung des Parks mit den Interessen der jeweiligen Fürsten zusammenhing, die in Kassel residierten.“
Heiko Schnickmann, Das Achtzehnte Jahrhundert 38 (2014)